Die Himmelsbäckerei im Wandel der Zeiten

August Hultsch Am 1. Oktober 1885 eröffnete August Hultsch in Neukirch auf der Hauptstraße 51 ganz in der Nähe der Kirche eine Bäckerei. Ehe er sich aber für immer hier seßhaft machte, ließ er sich während seiner mehrjährigen Wanderschaft den Wind der Fremde um die Nase wehen. Viele noch erhaltene Briefe, So sah unsere Bäckerei bei der Gründung ausdie er damals aus Paris, London und Wien an seine Lieben in Neukirch schrieb, bezeugen seine dort gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen ebenso wie seine enge Verbundenheit zu seiner Oberlausitzer Heimat. Heimgekehrt von weiter Reise wurde unter seiner Leitung die Bäckerei gebaut. Das Land, auf dem man sie errichtete, gehörte zum Pfarrlehen. Wie aus alten Schriftstücken zur Klärung der Eigentumsverhältnisse hervorgeht, wieherte auch damals schon der Amtsschimmel gewaltig, eigentlich gar nicht viel anders als heute, und es kam zu verschiedenen Reibereien mit den Behörden. Das Geld war knapp. Der benötigte Wasserbedarf erforderte einen umfangreichen Brunnenbau, und die Handwerker spurten oft nicht so, wie es der Bauherr wünschte. Mit all dem und vielen anderen Schwierigkeiten aber mußte der junge Bäckermeister fertig werden, wollte er sein Ziel erreichen.

Da in Neukirch alljährlich Anfang Oktober die Kirmes (Kirchweih) gefeiert wird, drängte Meister Hultsch darauf, daß das Geschäft unbedingt am 1.10.1885 eröffnet wurde.
An seine damals noch Verlobte schrieb er:
"Es wird wohl gut sein, an diesem Tage das Geschäft zu eröffnen, einmal, weil an solchen Tagen besonders viel Gebackenes gebraucht wird und zum anderen soll es ja nicht so aussehen, daß sich der "neue Bäcke" vor zu vieler Arbeit scheut!"

Den "himmlischen" Namen erwarb die Bäckerei durch eine spezielle Konzession. August Hultsch besaß die Erlaubnis, an Sonntagen nach dem Gottesdienst Milchsemmeln und heißen Hauskaffee auszuschenken. Der Grund dafür: Der Gottesdienst dauerte lange und in der Kirche war es kalt.

Noch im Herbst des Jahres 1885 heiratete der Bäckermeister. Zehn Kinder entsprossen im Laufe der Jahre dieser, ja man kann wohl sagen "fruchtbaren Verbindung" mit Martha Hultsch, geb. Löhnert.

Friedrich Hultsch Friedrich Hultsch wurde am 15.7.1903 als zehntes Kind der Eheleute August und Martha Hultsch geboren, und auch er erlernte den Bäckerberuf. Nachdem er erfolgreich in Sebnitz die Lehre beendet hatte, wollte er sich gern auch noch ein wenig die Welt besehen. Aber es sollte anders kommen. Der 1. Weltkrieg raffte zwei seiner älteren Brüder dahin. Der Vater war schon betagt und er brauchte einfach den erwachsenen Sohn, um die Bäckerei mit der erforderlichen Kraft weiterführen zu können.

1928 heiratete Friedrich Hultsch - und wie es eben das Leben so will - eine Bäckerstochter! Der Bäckermeister Franz Krause aus dem Niederdorf hatte zwei schöne Töchter. Eine davon war die Emma, und in die verliebte sich Friedrich gar sehr. Da aber der Krausen Franz auch nicht mehr ganz jung war und die andere Tochter einen Büroangestellten geheiratet hatte, stand der junge Bäckermeister plötzlich mit zwei Bäckereien da. Das war nicht einfach für ihn. Er machte deshalb das, wozu wir heute "Fusion" sagen würden. Beide Betriebe arbeiteten unter seiner Leitung. Im Oberdorf war für den technischen Ablauf und den Verkauf hauptsächlich seine Schwester Mariechen, mittlerweile verheiratete Gerlach, zuständig. Aber auch die ganze andere große Hultsch-Verwandschaft packte mit an, wenn es besondere Druckzeiten im Betrieb gab.

Eine alte Ansicht unserer BäckereiImmer dienstags aller zwei Wochen war z. B. "Brezeltag". Da kam schon früh die gesamte Verwandtschaft zusammen: der Schloßgärtner Hultsch aus Weifa, der Bruder Klempner Hultsch, der Martin Hultsch und viele Freunde, die immer ihre Frauen und manche natürlich auch ihre Kinder mitbrachten. Da stand man dann an langen Tafeln in der Backstube, Flur oder Waschhaus und flocht Brezeln zu Tausenden in Handarbeit, meist Wasserbrezeln, die später mit Salz und Mohn bestreut wurden. Das Stück kostete im Laden drei bzw. vier Pfennige. Ein Altgeselle, der übrigens über drei Generationen bei der Himmelsbäckerei war, siedete die Brezeln im großen Waschkessel. Dann kamen sie auf große Drahtgitter und wurden im Ofen goldknusprig gebacken.

Das Opel LieferautoFriedrich Hultsch kaufte schon in den zwanziger Jahren sein erstes Opel-Lieferauto. Er hatte sich das Alleinvertriebsrecht von Schlüter-Brot, ein dunkles Malzbrot, für das Oberland gesichert. Für damalige Verhältnisse hatte er schon einen recht umfangreichen Kundenkreis, der sich bis Sohland, Neustadt und Bischofswerda erstreckte. Hierbei war für den Bäckermeister typisch, daß er solche Lebensmittelverkaufsstellen nicht belieferte, die neben Bäckereien lagen, somit machte er seinen Kollegen keine Konkurrenz. Gleichermaßen lieferte er sein Schlüterbrot, das in der Hauptsache an Bäckereien ging, stets für einen guten Wiederverkaufspreis. Auch nahm er oft Artikel der Kollegen in sein Angebot mit auf. So gab es immer ein gutes Miteinander.

Theodor Hultsch Aus der Ehe von Friedrich mit Emma Hultsch wurde 1935 als drittes Kind Theodor Hultsch geboren, der später einmal der dritte Himmelsbäcker werden sollte und noch heute in Hochzeiten mit hilft. Seiner Geburt folgten bis 1943 noch drei weitere Geschwister. Der schreckliche 2. Weltkrieg mit seinen verheerenden Folgen brachte auch für die zwei Bäckereien schwierigen Bedingungen. Doch der Bäckermeister brauchte allerdings - Gott sei Dank - dafür nicht zu den Soldaten. Als Leiter eines Versorgungsbetriebes mußte er, wie man damals sagte, in der Heimat seinen "Kampfauftrag fürs Vaterland" erfüllen. Das hieß aber auch, daß er auf die oft unmöglichen Forderungen der damaligen Machthaber eingehen mußte. Das Auto wurde sehr bald eingezogen. Lieferungen in der bisherigen Weise war nicht mehr zu denken. So fuhren in den ersten Nachkriegsjahren seine Kinder mit dem Leiterwagen oder dem Fahrradanhänger durchs Dorf. Von einem Gewinnmachen war überhaupt nicht mehr die Rede, es ging mehr oder weniger ums Überleben und den Erhalt der Betriebe.
Das Dreirad Lieferauto
Anfang der fünfziger Jahre begann, nach den schweren Kriegs- und Nachkriegsjahren, sich bei Friedrich Hultsch der alte Unternehmergeist wieder zu regen. Er kaufte als erstes Lieferauto ein Dreirad-Auto 200ccm, Marke Hansa-Lojd. Damit waren die beiden Betriebe wieder etwas beweglicher. Die Geschichten, die sich rings um das Dreirad ranken, wären eigentlich einen eigenen Abschnitt wert. Das Dreirad existiert heute noch als Museumsstück bei einem Putzkauer Bürger und wird liebevoll gepflegt.

Die Führung von zwei Betrieben wurde mit der Zeit immer schwieriger, nach damaligen offiziellen Ansichten beschäftigte der Bäckermeister viel zu viele Mitarbeiter. Er war ein "Kapitalist". Um den Bestand der Himmelsbäckereien nicht zu gefährden, hatte ein Neffe, Arndt Rabe, auch ein Enkel von August Hultsch, für mehrere Jahre die Oberdorf-Bäckerei übernommen. Leider konnte er das aus familiären Gründen nur bis Ende 1957 ausführen.

Am 1. Januar 1958 war Theodor Hultsch, an der Reihe, neuer "Himmelsbäcker" zu werden. Er hatte zwar 1957Andreas Hultsch mit Erfolg die Meisterprüfung in Helmsdorf (Bäckermeister-Fachschule) bestanden, war aber ansonsten noch nicht so weit, um ein gestandener Bäckermeister zu sein. Auch er hätte gern noch ein Stück unseres schönen deutschen Landes kennengelernt. Doch warum sollte es ihm besser gehen als seinem Vater. Als größtes Problem stellte sich heraus, daß er noch unverheiratet war. Es ging jedoch einigermaßen gut, denn in den Anfangsjahren half wieder die tatkräftige Verwandtschaft, ganz besonders Tante Michi als der gute Hausgeist. Aber auch seine Geschwister haben ihn immer tatkräftig unterstützt. Sein Bruder Volkmar war der erster Verkäufer im kleinen Bäckerladen. Er war jung und hübsch und sicher ein guter Kundenmagnet für die Apothekenmädel von nebenan. Eckard, sein größerer Bruder, ist eigentlich in den letzten 40 Jahre immer der Handwerker und Architekt unserer Betriebe und Filialen gewesen. 1962 heiratete Theodor Hultsch die gelernte Krankenschwester Christa Schulz, aus dieser Ehe gingen zwischen 1963 und 1970 4 Kinder hervor: Martina, Thomas, Andreas und Matthias.

Die 40 Jahre DDR haben unsere Betriebe mehr oder weniger gut überstanden. Es war oft ein Kampf um Rohstoffe und unsinnige behördliche Anordnungen, die auszuführen waren, machten uns das Handwerkerleben schwer.

Im Herbst 1990 erfolgte ein Anbau zum Laden der Himmelsbäckerei, in dem als aller erstes, bevor er neu eröffnet wurde, die kunstvollen Stücke der Meisterprüfungsarbeit von Sohn Andreas Hultsch ausgestellt wurden. Am 22.10.1990 erhielt er den Meisterbrief als Konditor.
So sieht die Himmelsbäckerei heute aus
Vom 1.1.1991 bis Ende 1998 bildete der Betrieb zusammen mit der Niederdorf-Bäckerei eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts). Schon 1990, noch vor dem Zusammenschluß, betrieb man in Neukirch die erste gemeinsame Filiale, die sog. Mittelmühle. Dieser folgten bald darauf eine Filiale im ehemaligen Backwarenladen der HO in Bischofswerda, im Sommer 1992 ein Geschäft in Bautzen am Kornmarkt, im Sommer 1993 die Filiale im Hofgericht, im Januar 1995 kurzzeitig eine Filiale im Wilthener Rewe-Markt.

Ab Januar 1992 übernahm Andreas Hultsch die Leitung der Himmelsbäckerei, die offizielle Geschäftsübergabe war am 1.9.1992. Im selben Jahr heirateten Andreas und Ina Hultsch, geb. Hultsch, sie studierte bis 1993 Kirchenmusik in Dresden. 1993, 1996, 1999 und 2003 wurden die Kinder FriedrichJunior Friedrich Hultsch, Karl-Wilhelm, Christiane und Franziska geboren.

Im Zuge der freien Marktwirtschaft in den 90er Jahre etablierten sich immer mehr Feste und Märkte an Wochenenden und zu besonderen Anlässen im Jahr hier in unserem oberlausitzer sowie sächsischen Raum und auch darüber hinaus, die mehr und mehr fester Bestandteil des Arbeitsumfangs unseres Handwerksbetriebes wurden.

Unsere Filiale im Hofgericht Ausschlaggebend für diese Neuausrichtung des Betriebes war nicht zuletzt auch die Idee, Baumkuchen am offenen Feuer auf Märkten und Festen zu backen. 1995 zu den Schiebocker Tagen konnte Andreas Hultsch die Baumkuchenbäckerei in dieser Art erstmals der Öffentlichkeit zugänglich machen. Er ist nach wie vor deutschlandweit und auch darüber hinaus der einzige, der Baumkuchen am offenen Holzfeuer bäckt. Durch diese Art der Herstellung erhält der Baumkuchen ein besonders saftiges und würziges Aroma, was viele Kunden aus ganz Deutschland für sich schon längst entdeckt haben.

Unter den Festen und Märkten seien hier besonders erwähnt das Töpferfest in Neukirch, Karl-Mai-Fest und Weinfest in Radebeul sowie Weihnachtsmärkte in Dresden und Görlitz.

Am 1.2.1996 wurde eine weitere Filiale in Neukirch in der Eisengießerei eröffnet.
Im Sommer 1997 fanden wiederum Umbauten im Laden der Himmelsbäckerei statt , so daß wir am 11.9.97 unsere Kunden zur Eröffnung der neu entstandenen Cafe-Stube einladen konnten. 1998 wurde ein mobiler Holzbackofen angeschafft, der seitdem auch auf den Festen eingesetzt wird. Zwei mal wöchentlich wird auf dem Bautzener Wochenmarkt frisches Holzofenbrot von der Himmelsbäckerei verkauft.